Soziale Arbeit lohnt sich – auch wirtschaftlich

Für die Arbeit der Freien Wohlfahrtspflege ist diese Studie ein Meilenstein: Wissenschaftler der Bergischen Universität in Wuppertal haben den gesellschaftlichen Mehrwert der Freien Wohlfahrtspflege im Bergischen Land errechnet. Das Ergebnis: Jeder investierte Euro in Kindertagesstätten in Remscheid, Solingen und Wuppertal generiert einen Nutzen von 4,60 bis 6,60 Euro. Die Studie verändert auch für die Diakonie die Vorzeichen für künftige Gespräche mit Politik und Kommunen, sagen die Diakonie-Leiterinnen in Wuppertal und Solingen, Dr. Sabine Federmann und Ulrike Kilp.

Dr. Sabine Federmann, Diakoniedirektorin Wuppertal

Wie fassen Sie die Kernaussagen der Studie zusammen?

Dr. Sabine Federmann: Ein großer Gewinn dieser Studie ist die Erkenntnis, dass die Freie Wohlfahrtspflege in unserer Region ein wirtschaftlicher Faktor ist, der sich für die Gesellschaft lohnt. Diese Frage wurde bisher so nicht gestellt, deswegen ist auch diese Antwort neu. Eine zweite wesentliche Erkenntnis: Wir sind einer der größten Arbeitgeber der Region und viele Mitarbeitende der Freien Wohlfahrtspflege leben auch in der Region. Das heißt: Das Geld, das in uns investiert wird, fließt über Steuern und Konsum wieder zurück in die Region. Denn rund 80 Prozent unserer Kosten sind Personalkosten. Der dritte Erkenntnisgewinn steckt im letzten Teil der Studie, in dem die Arbeit der Kindertagesstätten wirtschaftlich berechnet wird. Dabei ist ein fast unglaublicher Wert herausgekommen: Ein investierter Euro generiert einen Nutzen von vier bis sechs Euro. Wir wussten, dass sich soziale Arbeit lohnt – auf so vielen Ebenen. Jetzt wissen wir auch: Sie lohnt sich wirtschaftlich.

Ulrike Kilp: Die Wertschöpfungseffekte durch die öffentliche Finanzierung von sozialen und Bildungsleistungen der Freien Wohlfahrtspflege sind nachgewiesen und erheblich. Sie erzielen nachhaltige gesellschaftliche "Outputs" – zum Beispiel Bildungsbiografien, gesellschaftliche Teilhabe, aber auch Wertschöpfung der Unternehmen durch das Freistellen von Arbeitskräften von häuslicher Kinderbetreuung.

Was ist besonders an der Studie?

Ulrike Kilp: Dieses Vorhaben einer regionalen Liga – der Bergischen Wohlfahrtsverbände – ist als solches schon innovativ. Zugleich gibt es bisher nur eine dürftige Studienlage zur volkswirtschaftlichen Relevanz der Wohlfahrtspflege auf Grundlage umfänglicher betriebswirtschaftlicher Daten der Träger. Auch wird aufgrund der "Tiefenbohrung" in den Kita-Bereich hinein deutlich, dass die Leistungen nahezu die gesamte Gesellschaft erreichen. Die gemeinsame Studie der Bergischen Universität Wuppertal und der Bergischen Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) belegt, dass der Mensch im Mittelpunkt unseres Handelns stehen muss. Denn unsere Einrichtungen übernehmen verlässlich professionelle Leistungen, sodass Menschen aller gesellschaftlichen Gruppen ihre Potenziale und Ressourcen voll entfalten und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Somit sind die Angebote der Freien Wohlfahrtspflege für die gesamte Gesellschaft unerlässlich.

Dr. Sabine Federmann: Es gibt bisher keine Studie zur Arbeit der Freien Wohlfahrtspflege aus wirtschaftlicher Sicht. Deswegen ist diese Studie etwas ganz Besonderes. Wir haben von der Politik häufig gehört: "Eure Arbeit ist wichtig, aber wir haben kein Geld." Jetzt können wir argumentieren wie viele Akteure in der Wirtschaft auch: Geld, das im sozialen Bereich investiert wird, ist nicht verloren. Es ist eine wirtschaftlich sinnvolle Investition

Wie kam es zu der Zusammenarbeit der verschiedenen Träger der Freien Wohlfahrtspflege für diese Studie?

Dr. Sabine Federmann: Die sechs großen Wohlfahrtsverbände in der Region arbeiten in einer Arbeitsgemeinschaft bereits eng zusammen. Und in diesem Kreis gibt es Personen mit einem Lehrauftrag an der Bergischen Universität. So entstand dann die Idee: Lasst uns doch zusammen eine Studie auf den Weg bringen. So entstand eine Kooperation. Wir haben als Wohlfahrtsverbände unsere Daten geliefert und uns an den Kosten beteiligt, die Arbeit der Wissenschaftler war aber völlig unabhängig. Wir hatten keinen Einfluss auf das Ergebnis.

Ulrike Kilp: Die Bergische Region versteht sich auch auf Ebene der Kommunen und Unternehmen als Gestaltungs- und Wirtschaftsraum. Insofern organisiert die Bergische AGFW mit den Städten Wuppertal, Solingen und Remscheid auch regelmäßig die Zusammenarbeit der Wohlfahrtsverbände in der Region und tritt ein für die gemeinsame Interessenvertretung. Die Studie wurde im Kontext der Zusammenarbeit auch mit der Bergischen Universität Wuppertal gemeinsam entwickelt. 

Welche Relevanz hat die Studie für Strategie, Lobbying und gesellschaftliches Standing der Freien Wohlfahrtspflege?

Ulrike Kilp: Die Studie zeigt auch, dass die Wohlfahrtspflege ein relevanter Arbeitgeber in der Region mit einem dichten Netz sozialer Infrastruktur ist. Die Wohlfahrtsverbände stellen eine wirtschaftliche Größe dar, die es mit der Automobilindustrie aufnimmt. Dennoch befindet sie sich politisch in der Gefahr, dass ihre Relevanz für die Daseinsvorsorge vor Ort und die Expertise für die professionelle Erbringung von gesamtstaatlichen Leistungen nicht mehr hinreichend verstanden und wahrgenommen wird. Dagegen sind die Verbände Stabilitätsanker in gesellschaftlichen Krisen. Die Studie liefert eine Vielzahl von Zahlen, die zeigen, dass unsere Leistungen unerlässlich sind.

Dr. Sabine Federmann: Und die Diskussion mit der Politik endet jetzt nicht mehr an dem Punkt, an dem uns gute Arbeit aber fehlende Wirtschaftlichkeit bescheinigt wird. Denn wir haben es jetzt Schwarz auf Weiß, welche positiven Auswirkungen soziale Arbeit auch wirtschaftlich auf die Region hat. Das heißt: Wir werden mit Politik und Kostenträgern anders ins Gespräch gehen können. Vor Ort haben wir ein großes Interesse der Öffentlichkeit an den Ergebnissen der Studie wahrgenommen – vor allem deswegen, weil die Wissenschaftler die Ergebnisse vorgestellt haben. Und diese Ergebnisse liegen jetzt im Sozialausschuss, im Jugendhilfeausschuss und auch im Rat der Stadt vor. Und ich erzähle bei jeder Gelegenheit von dieser Studie (lacht). Wir haben entdeckt: Die allerwenigsten Politiker wussten, wie groß wir als Freie Wohlfahrt sind. Und auch die Einsicht, dass unsere Mitarbeitenden, die in der Region ihr Geld ausgeben, ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor sind, hat viele überrascht. Es gab ein richtiges Aufhorchen.

Und was heißt das für die Diakonie?

Dr. Sabine Federmann: Wir fühlen uns gestärkt. Wir wussten, dass unsere Arbeit für viele einzelne Menschen wertvoll und wichtig ist – in Kindertagesstätten und Wohngruppen, in Wiedereingliederungsmaßnahmen und Pflegeeinrichtungen, an den vielen verschiedenen Orten, an denen wir im Einsatz sind. Unsere Arbeit ist auch wirtschaftlich wertvoll. Wir treten selbstbewusster auf und haben auch für zukünftige Diskussionen starke Argumente. Ein Beispiel: Wir haben 35 Kindertagesstätten in unserer Betreuung. Mittelfristig werden wir mit der Stadt über den Renovierungsbedarf sprechen müssen. Da werden wir nun anders auftreten können.

Ulrike Kilp: Die Diakonie genießt in der Bevölkerung hohes Ansehen. Wir erreichen die Menschen, befähigen und ermutigen sie, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wir erreichen und ermutigen Zielgruppen, die sich von Regelsystemen verabschiedet haben. Der Mensch steht im Mittelpunkt unseres Handelns. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Wir ermöglichen trotz wachsender Polarisierung positive Erfahrungen des Miteinanders und der Verständigung. Grundlage sind die auch in unserer Mitarbeiterschaft getragenen und gelebten Werte. Wir verantworten diese Aufgaben im Wesentlichen aus staatlichen Mitteln und legen darüber transparent Rechenschaft ab. Zugleich bringen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten eigene Ressourcen ein. Dabei halten wir uns an die Gebote von Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Subsidiarität ist die verfassungsgemäße Grundlage der Beteiligung der Diakonie an den gemeinsamen Aufgaben. Dieses Selbstverständnis sollte in unserem Lobbying gestärkt, erklärt und konkretisiert werden.

Und jetzt? Wie geht es jetzt weiter? Landen die Ergebnisse in der Schublade? Haben Sie eine Vision, was daraus erwachsen könnte?

Ulrike Kilp: Die Bergische Studie hat durchaus Aufmerksamkeit ausgelöst. Die volkswirtschaftliche Perspektive auf unsere Leistungen ließe sich aus meiner Sicht ausrollen, um in einem erweiterten Studiendesign Daten und Befunde für einen größeren Raum – Land oder Bund – und vertieft auch für weitere Arbeitsfelder neben Kindertagestätten zu erheben. Damit könnten die Verbände ihre Lobbyarbeit untermauen und verstärkt Einfluss auf die verbesserte staatliche Refinanzierung unserer Systeme nehmen.

Dr. Sabine Federmann: Man könnte noch viele andere Felder aufrufen, in denen die Freie Wohlfahrt unterwegs ist – von der Arbeit mit Obdachlosen bis hin zum Pflegebereich. Eine Anschlussstudie wäre also sehr wünschenswert. Dann könnten wir auch andere Bereiche konkret beziffern. Allerdings gilt der erste Teil der Studie schon jetzt für alle Bereiche. Und unser finanzielles Engagement als Freie Wohlfahrtspflege in der Wissenschaft ist an dieser Stelle auch erstmal abgeschlossen. Aber wir haben den Eindruck, dass die Studie auch im universitären Bereich für großes Interesse sorgt. Und hoffentlich macht sich jemand die Arbeit und forscht weiter. 

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Fotos:

Text:
Theresa Demski

Fotos:
Diakonie Wuppertal und Pixabay

Ansprechparterin:
Dr. Sabine Federmann
0202/ 97 444 1444
sfedermann@diakonie-wuppertal.de

Link zum Artikel der Diakonie RWL:
Soziale Arbeit lohnt sich – auch wirtschaftlich | Diakonie RWL