Andacht: Das neue Fahrrad

Die Benzinpreise kennen nur eine Richtung: sie steigen und steigen. Für viele Menschen ist das ein Problem. Alle, die mit dem Auto zur Arbeit fahren oder ihre Einkäufe mit dem Wagen erledigen, müssen jetzt tiefer in die Tasche greifen.

Wer ein langes Wochenende oder einen Urlaub vor sich hat, der überlegt es sich zweimal, ob er mit dem Auto verreisen will oder nicht lieber in heimischer Umgebung etwas unternimmt.

Um die Bürger zu entlasten, hat die Politik beschlossen, den Personen-Nahverkehr zu unterstützen. Für 9 Euro bekommt man jetzt ein Monatsticket, mit dem man in ganz Deutschland jeweils einen Monat lang fahren kann. Das Ticket gilt für alle Busse, Straßenbahnen und Nahverkehrszüge. Die Regelung gilt ab dem 1. Juni und ist auf drei Monate befristet. Theoretisch kann man mit dem 9 Euro Ticket von Bayern nach Schleswig-Holstein fahren. Man muss nur Zeit genug für die vielen Umstiege haben.

Und starke Nerven wahrscheinlich auch.

Manche Menschen, die beweglich bleiben und sparen wollen, gehen einen anderen Weg. Sie steigen um aufs Fahrrad. Das Fahrrad ist das Fortbewegungsmittel der Stunde. Man sieht in den Städten immer mehr Fahrradfahrer. Das liegt auch daran, dass es immer mehr Fahrradwege gibt. Fahrspuren, die früher dem Auto vorbehalten waren, dürfen jetzt nur noch von Fahrradfahrern benutzt werden. Das macht das Radfahren einfacher und sicherer. Auf dem Fahrrad sieht man alle Altersgruppen. Jüngere Menschen, Schüler, Studenten und Azubis. Aber auch die Älteren setzen sich auf den Sattel auf ihrem Weg zur Arbeit, ins Büro, in die Praxis oder hierher - in die Diakonie.

Weil das Autofahren immer teurer wird und in den verstopften Innenstädten zudem immer schwieriger, habe ich es wie viele andere gemacht und mir ein Dienstrad angeschafft.

Ein sog. e-bike, d.h. ein Fahrrad mit einem Elektromotor. Als Schülerin bin ich viel Fahrrad gefahren, oft stundenlang. Heute merke ich, dass ich die grundlegenden Bewegungen und Handgriffe erst wieder einüben muss. Zum Beispiel das Aufsteigen aufs Rad. Welchen Fuß setze ich zuerst auf das Pedal? Den rechten oder den linken? Und wie war das mit dem Absteigen? Nach welcher Seite bin ich früher immer abgestiegen?

Der Elektromotor, den das Fahrrad hat, ist für mich vollkommen neu. Er unterstützt mich beim Treten in die Pedale. Wie groß die Unterstützung ist, das kann ich selber einstellen. An einem steilen Hang, zum Beispiel am Hugoberg, wähle ich die große Unterstützung. Da nimmt mir der Motor die meiste Arbeit ab. Dort, wo das Gelände flach ist und ich allein gut vorankomme, wähle ich eine niedrige Unterstützungsstufe. Der Motor gibt in dem Moment nur wenig Leistung ab.

Als ich dieser Tage mit dem Fahrrad unterwegs war, da ist mir der Gedanke gekommen, dass das Fahrradfahren und der Glaube überraschend Gemeinsamkeiten haben. Als Kinder und Jugendliche haben wir alle von Gott gehört. Da waren die Geschichten von Jesus, der mit seinen Jüngern umhergezogen ist und Menschen von ihren Krankheiten geheilt hat. Im Konfirmandenunterricht wurde darüber gesprochen. Dann kam der Beruf, die eigene Familie, das Thema Gott und Glaube ist vielleicht manchmal in den Hintergrund getreten. Im Alter merkt der ein oder andere, dass Religion und Glaube doch wichtig sind und sie fangen an, sich neu damit zu beschäftigen. Das ist dann wie beim Fahrradfahren, das man nach Jahrzehnten des Pausierens wieder neu einüben muss. Was viele beim Glauben neu einüben müssen, das ist die stille Zeit. Ein Moment im Tagesablauf, der für die innere Besinnung, das Gespräch mit Gott, reserviert ist. In diesen Minuten der Einkehr bringen Menschen all das vor Gott, was sie bewegt. Das Gute und Schöne, das sie erfahren haben; aber auch alles Belastende und Bedrückende. Das, was ihnen auf der Seele liegt und ihnen das Leben schwermacht.

Worin liegt der Gewinn einer regelmäßigen stillen Zeit? Der Gewinn einer stillen Zeit mit Gott liegt meiner Meinung nach darin, dass sie uns den Glauben eröffnet. Der Glaube ist so wie der Elektromotor am Fahrrad eine Kraftquelle. Eine Kraftquelle, die uns im Leben unterstützt. Eine Kraftquelle, die es uns leichter macht, mit den Mühen des Alltags fertig zu werden. Am Anfang ist das Gespräch mit Gott vielleicht noch etwas mühsam und holprig. Aber nach einer Weile stellen wir fest: Mit dem Beten verhält es sich so wie mit dem Fahrradfahren. Was man einmal gekonnt hat, das verlernt man nie so ganz.

Ihre Iris Fabian, Pastorin der Diakonischen Altenhilfe Wuppertal