„Wir schaffen das!“

10 Jahre nach dem legendären Satz von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel traf Akram Al Homsy sie für ein ARD-Gespräch und WDRforyou. Mit Hilfe von Diakonie und Kirche hat Akram Al Homsy es tatsächlich geschafft und in Wuppertal ein neues Zuhause gefunden.

Altkanzlerin Merkel im WDR-Interview mit Akran Al Homsy

Jede Menge Fragen hatte Akram Al Homsy im Gepäck, als er von Wuppertal nach Berlin gefahren ist, um die Frau persönlich zu treffen, die sein Leben massiv verändert hat. „Ich war sehr aufgeregt, aber auch froh, diese Chance zu bekommen, denn in Syrien wäre es unvorstellbar, einen Politiker etwas zu fragen oder eine Kritik zu äußern“, erzählt der 28-jährige Deutsch-Syrer. 

Einen Nachmittag lang saß Akram Al Homsy direkt neben der Ex-Bundeskanzlerin im syrischen Restaurant "Malakeh“. Zum ersten Mal seit sie im August vor zehn Jahren den historischen Satz: “Wir schaffen das” gesagt hatte, traf sie sich öffentlich zum ARD-Gespräch mit fünf Geflüchteten (zu sehen in der ARD-Mediathek:

https://www.ardmediathek.de/video/danke-aber-10-jahre-nach-merkels-versprechen/10-jahre-danach-gefluechtete-im-gespraech-mit-angela-merkel/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLXNvcGhvcmEtZDkzNTNiMjQtYmYyZi00OTg5LTg3ZDYtZDFmMzc0ODE3ZWJh

Dabei ging es um Integration und Heimat, Berufseinstieg und Ausbildung, aber auch um überfüllte Flüchtlingsunterkünfte und Hilfe bei Kriegstraumata. 

Kriegstraumata und die Folgen

Dieses Thema lag Akram Al Homsy besonders am Herzen. Mit 17 Jahren in Wuppertal angekommen, wurde er krank, litt unter unerklärlichen Schmerzen. Drei Jahre dauerte es, bis seine posttraumatische Belastungsstörung erkannt und behandelt wurde. „Viele Geflüchtete sind genau wie ich traumatisiert und brauchen schnell psychische Unterstützung. Ich hätte mir gewünscht, dass Merkeldieses Problem ernster nimmt und nicht nur auf die allgemein schwierige Versorgungslage in Deutschland verweist“, bemerkt Al Homsy.

Zufrieden ist er dennoch mit dem einstündigen Gespräch. „Angela Merkel steht für eine Willkommenskultur, die ich persönlich in Wuppertal erfahren habe. Es ist gut, zehn Jahre nach ihrem historischen Satz ‚Wir schaffen das‘ genau daran zu erinnern.“ 

Die Hilfe der „AG Willkommen“ in Uellendahl

Ohne die Unterstützung der „AG Willkommen“, die 2015 in der evangelischen Kirchengemeinde Uellendahl-Ostersbaum gegründet wurde, und ohne seinen Paten wäre es schwer gewesen, in Wuppertal eine neue Heimat zu finden, ist Akram Al Homsy überzeugt. Ob Sprache, Behördengänge oder Kontakte – viele ehrenamtlich engagierte Menschen halfen ihm und seiner Familie. Sowohl aus der Kirchengemeinde als auch der Diakonie Wuppertal mit ihrem Uellendahler Bewohnertreff „Oase“ unter der Leitung von Christian Looft-Kaufmann gab es Unterstützung.

Pate Ulrich Ippendorf steht den Al Homsys noch immer zur Seite. Er engagiert sich bis heute in der AG Willkommen und übernahm 2015 die Patenschaft für die vierköpfige Familie. Nachdem auch die beiden älteren Schwestern von Akram mit ihren Ehemännern und drei kleinen Kindern nach Deutschland geflüchtet waren, setzte er sich dafür ein, dass die Familien nicht auseinandergerissen wurden. Bei Behördenanträgen und Konflikten mit dem Ausländeramt unterstützte er die Familie.

Im Krankenhaus Deutsch gelernt

Doch als es um Akrams Traumatisierung ging, fühlte er sich hilflos. „Ich habe lange als Diplompädagoge gearbeitet und mich politisch engagiert, daher habe ich gute Netzwerke und kenne mich mit Behörden aus“, sagt er. „Doch im Hinblick auf schnelle und professionelle Hilfe für traumatisierte Geflüchtete bin ich an Grenzen gestoßen, denn da sind wir in Deutschland absolut unterversorgt.“

Sein Pate habe ihn oft im Krankenhaus besucht, erzählt Akram Al Homsy. Dort lernte er Deutsch. Später holte er seinen Haupt- und Realschulabschluss nach und machte eine Ausbildung zum Masseur. Da war er schon 20 Jahre alt und seine Flucht aus Syrien fünf Jahre her. 

Flucht über den Libanon nach Deutschland

„Meine Eltern hatten Angst, dass ich als Soldat eingezogen wurde. Assad interessierte nicht, wie alt ein Junge war. Hauptsache, er konnte eine Kalaschnikow halten.“ Auf der Flucht wäre er an einem Checkpoint beinahe erschossen worden. Zwei Jahre lebte Akram Al Homsy mit seinen Eltern und dem jüngeren Bruder im Libanon und verdiente in einem Restaurant das Geld für die Miete. Zusätzlich jobbte er noch in einem Supermarkt. „Das war eine schlimme Zeit“, sagt er. „Wie viele Syrer lebten wir fast auf der Straße, zahlten für einen sehr kleinen Raum eine horrende Miete.“

Über ein UN-Resettlement-Programm gelang der Familie schließlich die Ausreise nach Deutschland. Anders als seine beiden älteren Schwestern und ihre Familien kam Akram Al Homsy mit dem Flugzeug und nicht über die gefährliche Balkanroute nach Deutschland. Er musste nicht in Turnhallen übernachten, sondern erhielt mit seiner Familie sofort eine Wohnung in Wuppertal. 

„Wir müssen lauter werden“

Dort leben seine Eltern noch immer. Akram Al Homsy macht inzwischen eine Weiterbildung zum Physiotherapeuten, tritt als Schauspieler im Wuppertaler Taltontheater auf und kann sich eine eigene Wohnung leisten. Seit einem Jahr hat er den deutschen Pass. 

Als er Freunden von der Einladung zum Gespräch mit Angela Merkel berichtete, warnten ihn einige vor rechtspopulistischen Hasskommentaren in den sozialen Medien. „Klar bin ich dann im ganzen Land bekannt, aber diejenigen, die für Integration stehen und sie gestalten, müssen lauter werden“, sagt er. „Deshalb war ich dabei.“ Statt Hasskommentaren hat er viel positives Feedback bekommen. Auf den Kommentar eines Zuschauers, er solle bitte nicht zurück nach Hause gehen, denn er werde in Deutschland gebraucht, hat Al Homsy eine klare Antwort: „Ich bin zuhause“, betont er.

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Fotos:

Text und Fotos
Sabine Damaschke/Mirko Polo (WDR)

 

Zahlen und Fakten zur Integration

Mehr als eine Million Geflüchtete kamen zwischen 2015 und 2016 nach Deutschland. Die Arbeitsmarktintegration lief schneller als bei früheren Fluchtbewegungen: Mit 731.800 Personen haben heute mehr als zehn Mal so viele Geflüchtete Arbeit als Ende 2014. 

Viele Geflüchtete, die 2015-2016 eingereist sind, mussten fast ein Jahrzehnt in Flüchtlingsunterkünften leben – unter anderem wegen der 2016 eingeführten Mobilitäts-Einschränkungen.

Es wird geschätzt, dass 30 Prozent der Geflüchteten eine psychologische Betreuung benötigen. Einen Therapieplatz bekommen sie nur selten: Solange sie Asylbewerberleistungen erhalten, geht dies nur in Ausnahmefällen. Die 71 Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer in Deutschland konnten 2023 rund 31.200 Personen behandeln oder weitervermitteln – und damit nur 3,3 Prozent des Bedarfs abdecken.

Quelle: Mediendienst Integration (https://mediendienst-integration.de/artikel/10-Jahre-Wir-schaffen-das)