"Rassismus erlebe ich tagtäglich"

Rassismus in Wuppertal? Wir haben im Kirchenkreis nachgefragt, heute bei Naciye Alpay von der Diakonie Wupperta:

'Black Lives Matter' - Die Bilder aus Amerika und das Thema '(Alltags-)Rassismus' haben auch uns im Öffentlichkeitsreferat nicht kalt gelassen. Amerika ist weit, aber Rassismus in Deutschland längst ein Thema. Und wie sieht es in unserer Stadt, in unserem Kirchenkreis aus?

Wir haben nachgefragt, heute bei Nadice Alpay von der Diakonie Wuppertal:

1: Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Rassismus gemacht?

Rassismus erlebe ich tagtäglich durch eigene Erfahrungen und durch die Erzählungen meiner Klientinnen und Bekannten. Rassismus begegnet uns nicht nur in privaten oder öffentlichen Räume, sondern auch in Verwaltungen, in andere Institutionen aber auch in Schulen und Bildungseinrichtungen oder in der Regelversorgung. In meine Arbeit als Sozialarbeiterin in der Flüchtlingsberatung bin ich häufiger mit dem Vorwurf seitens der Behörden konfrontiert, dass ich aufgrund meiner eigenen Migrationsbiographie die Interessen der Flüchtlinge wahrnehmen würde und nicht professionell handeln könne. Dass ich jedoch meinen Auftrag ernst nehme,wird nicht gesehen. Das Asylrecht ist bereits mehrere Male faktisch abgeschafft worden. Die Grundrechte für die geflüchteten Menschen beschnitten. Also versuche ich, nicht als Migrantin, sondern als überzeugte Verfechterin der Menschenrechte und einer solidarischen Gesellschaft, die noch verbliebenen Rechte zu verteidigen.

2: Wie gehen Sie damit um?

Es ist sehr wichtig, sich darüber bewusst zu werden, dass Rassismus existiert. Wir alle wachsen nicht isoliert in abgeschlossenen Sphären auf, sondern in Gesellschaften. In jeder Gesellschaft existiert Rassismus und wir wachsen damit auf. Der Rassismus ist in den Herrschaftsverhältnissen und in der Geschichte der Welt begründet. Sie wird auch bewusst eingesetzt, um einfache Lösungen für komplexere Probleme zu liefern. Aus meiner Sicht ist es besonders wichtig, zuallererst sich selbst immer wieder zu reflektieren. Weiterhin müssen wir lernen sehr offen und respektvoll miteinander uns auszutauschen, damit wir lernen, wann wir einander verletzen und Vorurteile -bewusst oder unbewusst- reproduzieren. Wir müssen uns die wissenschaftlichen Erkenntnisse vertraut machen und lernen, dass es keine unterschiedliche menschliche Rassen gibt. Sind wir davon überzeugt, handeln wir auch dementsprechend. Überall dort, wo Rassismus uns begegnet, dürfen wir nicht schweigen. Wir dürfen aber auch die Menschen nicht verurteilen, sondern sie darauf aufmerksam machen, warum ihr Handeln falsch und unwissenschaftlich ist. Denn kein Mensch kann etwas dafür, dass wir in Gesellschaften mit rassistischen Zügen groß geworden und sozialisiert worden sind. Kurz ich spreche rassistische Verhalten offen an und suche die Diskussion. Außerhalb der Arbeit organisiere ich mich in Räumen, wo antirassistische Arbeit gelebt wird.

3: Was erwarten Sie dazu von Ihren Mitmenschen, Ihrer Kirche?

Sowohl von meinen Mitmenschen als auch von der Kirche erwarte ich, dass unser Handeln von Liebe und Solidarität geleitet wird. Universelle Liebe und Solidarität leiten sich sowohl aus dem religiösen Verständnis, dass die ganze Welt Gottes Schöpfung ist und zusammenhängt, als auch aus dem wissenschaftlichen Verständnis, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und alleine nicht nur nicht lebensfähig sondern auch total unglücklich ist. Wir haben also alle in und außerhalb der Kirche die Verantwortung uns für eine gerechte, solidarische Welt, also für das Leben einzusetzen. Diese Verantwortung zwingt uns, uns öffentlich zu positionieren, den Ausgegrenzten nicht nur zur Seite zu stehen, sondern auch dafür sorgen, dass sie zukünftig nicht mehr weggestoßen, isoliert und beleidigt werden.

Naciye Alpay

arbeitet seit vielen Jahren in der Abteilung Migrationsdienste

der Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe gGmbH

Das Foto rechts zeigt sie bei einer Solidaritätsaktion in Gotha in August 2019.

text: beitragsserie des öffentlichkeitsreferats/wj

foto: privat