Sie bauen, werken, haushalten, sind im Sozialkaufhaus oder im Stadtteilservice im Einsatz: Insgesamt 110 Teilnehmende befinden sich in Eingliederungsmaßnahmen der „Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe“. Sie wollen Perspektiven für ihr Arbeitsleben finden. Nun hat die Politik eine erneute Sparrunde für Jobcenter angekündigt – und damit auch für die Eingliederungsmaßnahmen. „Eine Katastrophe“, wissen Anleiter und Teilnehmende.
Jeden Morgen, wenn die vier Kinder aus dem Haus und auf dem Weg zur Schule sind, schnürt er seine Schuhe, schlüpft in die Jacke und macht sich auf den Weg. „Früher habe ich dann den Haushalt erledigt und hatte eigentlich keinen Grund, nicht sofort wieder im Bett zu verschwinden“, sagt der Wuppertaler. Aber jetzt erscheint er jeden Morgen in der Holzwerkstatt der Maßnahme „Anstoß“ der „Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe“. Pünktlich, mit Recht auf Urlaubstage und Pausen und mit der Verpflichtung, sich krank zu melden, wenn er es nicht schafft. Gerade arbeitet der gelernte Schreiner an einem Schmuckkästchen. „Da hat mich meine älteste Tochter drauf gebracht“, erzählt er und streicht über das Holz, „sie macht gerade ihr Abitur.“ Der heute 57-Jährige kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als er selbst noch voller Hoffnungen und Träume für die Zukunft war. Damals absolvierte er erfolgreich die Schreiner-Lehre. Und weil die Stellen rar gesät waren, setzte er noch die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann obendrauf und arbeitete lange erst in dem einen und dann in dem anderen Beruf. „Und dann stand ich von heute auf morgen alleine mit vier Kindern da“, sagt er und streicht sich durch sein müdes Gesicht. „Plötzlich war ich alleinerziehender Vater.“ Seine Jüngste war damals gerade neun Monate alt. „Am Anfang konnte ich halbtags arbeiten“, erzählt er. Aber sein Arbeitgeber brauchte eine Vollzeitkraft. Damals verlor er seinen Job. Das liegt nun acht Jahre zurück. „Harte Jahre“, sagt er. Seit der Kündigung sucht er nach einer Halbtagsstelle. „Aber wer will mich denn?“, fragt er. Sobald er von seinen vier Kinder und seiner Aufgabe als alleinerziehender Vater spricht, winken die meisten Arbeitgeber ab. „Dazu kommt mein Alter“, sagt er. Also bekommt er finanzielle Unterstützung vom Staat. „Ich wünsche niemandem, in Deutschland arbeitslos zu werden“, sagt er. Er thematisiere seine Situation ganz selten, schäme sich. „Und ich spüre die gesellschaftliche Verurteilung“, sagt er. Unzählige Maßnahmen des Jobcenters hat er seit seiner Kündigung mitgemacht. „Viele haben für mich überhaupt keinen Sinn und überhaupt keine Perspektive ergeben“, erzählt er. Andere haben ihn weitergebracht. „Aber ich habe depressive Zeiten hinter mir“, sagt der 57-Jährige.
Kürzlich hat ihn das Jobcenter zu einer Eingliederungsmaßnahme geschickt: zur Maßnahme „Anstoß“ der „Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe“. „Und von Anfang an war es anderes als sonst“, sagt er. „Hier haben sich die Menschen Zeit genommen.“ Und gemeinsam fanden Arbeitsanleiter Udo Riepert und der 57-Jährige heraus, dass es in der Holzwerkstatt genau den richtigen Platz für den vierfachen Vater gibt: Nun arbeitet der gelernte Schreiner wieder mit Holz. „Ich habe wieder eine Aufgabe“, sagt er, „fühle mich wieder gebraucht.“ Er komme gerne in die Werkstatt. Und schließlich sei auch der soziale Kontakt nicht zu unterschätzen. Viele verschiedene Menschen mit ganz unterschiedlichen Geschichten kämen an diesem Ort zusammen. „Hier unterstützen und ergänzen wir uns“, sagt er.
Udo Riepert vom Team der Maßnahme „Anstoß“ kennt diese Momente: „Die Menschen blühen hier bei uns in den allermeistern Fällen schnell auf. Sie sehen wieder einen Sinn in ihrem Dasein.“ Riepert kennt die Geschichten, die die Menschen mitbringen, wenn das Jobcenter ihnen eine Eingliederungsmaßnahme bei der „Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe“ empfiehlt und finanziert: Viele der Teilnehmenden am Programm sind langzeitarbeitslos, haben mit psychischen oder anderen gesundheitlichen Problemen oder auch Suchtgeschichten zu kämpfen. „Sie haben sich isoliert“, weiß Riepert. Die Eingliederungsmaßnahme holt die Menschen aus dieser Isolation heraus. In der Maßnahme „Anstoß“ können sie ganz niederschwellig zurück in eine feste Tagesstruktur finden: Es gibt verschiedene kreative Bereiche, in denen sie sich einbringen können – beim Malen, Werken oder Bauen. Wer sich eher beim Thema Haushalt und Kochen wohlfühlt, kann hier seine ersten Schritte zurück in den Arbeitsalltag finden – jeder in seinem Tempo und mit dem Stundenumfang, der jedem einzelnen möglich ist. Die „Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe“ bietet insgesamt drei Projekte im Bereich Eingliederungsmaßnahmen an: Neben „Anstoß“ gibt es auch Plätze im Sozialkaufhaus und im Stadtteilservice Vohwinkel. „Unser Ziel es, mit den Menschen wieder Perspektiven zu entwickeln“, erklärt Abteilungsleiterin Nadja Heil, „ganz individuell.“ Es gebe Situationen, in denen Menschen ihre Krankheit anerkennen und den Weg in eine Werkstatt finden würden. Und es gebe auch die Situation, dass Projekt-Teilnehmende den Weg zurück auf den ersten Arbeitsmarkt finden – begleitet von den Fachkräften der „Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe“. „Wir haben dazu schon wunderbare Kooperationen mit heimischen Firmen gehabt und richtig gute Erfahrungen gemacht“, erzählt sie und blickt in die große Halle, in der mal ganz konzentriert und leise gearbeitet wird und ein anderes Mal heitere Gespräche entstehen. „Wer jeden Morgen hierherkommt, der zeigt Eigenantrieb und hat schon viel geschafft“, weiß Udo Riepter. Selbstwertgefühl, ein Ende der Isolation, Teilhabe an der Gesellschaft und eine Zukunftsperspektive: All das bewirke diese Arbeit.
Sechs Monate dauert ein Maßnahmenzeitraum, er kann bis zu zwei Jahre verlängert werden – wenn dem Jobcenter entsprechende Fortschritte berichtet werden könnten. Ein normaler Arbeitstag endet nach sechs Stunden. „Wir feiern hier jeden Tag kleine und große Erfolge“, sagt Udo Riepert und denkt an die vielen Menschen, die hier schon zurück in Strukturen und in die Gesellschaft gefunden haben. Ursprünglich hatten 125 Teilnehmende einen Platz in der Maßnahme Anstoß“ – einer der drei Eingliederungsmaßnahmen der Diakonie in Wuppertal. Als die Politik 2023 eine erste Sparrunde für die Jobcenter beschloss, blieben 90 Plätze. Nach der letzten Sparrunde waren es noch 70. „Das waren für uns schlimme, schmerzhafte Einschnitte“, sagt Nadja Heil, „wir mussten Maßnahmen auslaufen lassen.“ Menschen kehrten auf die Straße und in die Isolation zurück – ohne Perspektive. Nun hat die Politik die nächste Sparrunde angekündigt. „Was das für uns bedeuten wird, wissen wir nicht“, sagt Nadja Heil. „Aber wir wissen, es wird eine Katastrophe“, sagt Udo Riepert.
Auch Marion Grünhage, Geschäftsführerin der „Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe“, ahnt um die „desaströsen Folgen“ der geplanten Kürzungen. Das Jobcenter habe angekündigt, die Eingliederungsmaßnahmen zum März 2025 einzustellen. „Das würde auf vielen Ebenen einen sehr schmerzhaften Einschnitt bedeuten“, betont Marion Grünhage. Die Teilnehmenden würden unversorgt bleiben, ihnen könnten keine konkreten Angebote mehr gemacht werden. „Für viele ist eine gesellschaftliche Teilhabe dann gar nicht mehr möglich“, betont sie „die Politik stellt die Menschen ins Abseits“. Und auch für die Wuppertaler Stadtgesellschaft würde der Einschnitt spürbar, ist sich die Geschäftsführerin sicher. Denn die Teilnehmenden an Eingliedermaßnahmen würden ihre Fähigkeiten aktuelle an vielen Stellen für gemeinnützige Zwecke einbringen: Die Zukunft des „Sozialkaufhauses“ sei bedroht. Ein Wegfall des Stadtteilservices würde für die Wuppertaler bedeuten, dass Begleitungen zum Arzt oder zum Einkaufen nicht mehr möglich sein.
In der Schreinerei ist es inzwischen etwas leiser geworden. Die ersten Mitarbeiter haben Feierabend. Der 57-Jährige ist zufrieden mit seinem Tagwerk. „Nächstes Jahr kommt meine Jüngste auf die weiterführende Schule“, sagt er, „ich bereite alles vor, um dann wieder sozialversicherungspflichtig zu arbeiten“. Vorkochen, Betreuungsmöglichkeiten finden, auch der Jüngsten einen Haustürschlüssel geben: Er richtet das Familienmanagement auf einen Neustart aus. „Aber ich bin über die Jahre pessimistisch geworden“, sagt er. Die Arbeit in der Holzwerkstatt der „Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe“ allerdings habe ihm einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft zurückgegeben.
Fotos:
Text und Fotos:
Theresa Demski
Ansprechpartnerin:
Marion Grünhage (Geschäftsführung Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe gGmbH)
mgruenhage@diakonie-wuppertal.de