Beim Sterben nicht nur auf Experten verlassen

Vom Pionierkampf vor 20 Jahren zur Situation heute – ist die Hospizarbeit „leicht“ geworden?

Katharina Ruth: Es war lange Zeit ein Problem, öffentlich über Tod und Sterben zu sprechen. Anfangs war es sehr schwierig, beispielsweise in Altenheimen das Thema Tod überhaupt zu behandeln. Die Verstorbenen wurden durch den Keller rausgefahren. Glücklicherweise ist in den vergangenen Jahren viel passiert und der Blick hat sich grundsätzlich geweitet. Aber es gibt noch viel zu tun. Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben, über 50% sterben aber z.B. im Krankenhaus. Es ist eine Frage, warum es nicht gelingt, ein stabiles Netzwerk zu knüpfen oder wer rechtzeitig vor einer Krise fragt: "Was machen wir jetzt - wie kann es weitergehen?" bevor nur der Notarzt bleibt. In einigen Krankenhäusern ist man noch nicht offen für Begleitung durch uns. Grundsätzlich ist die Hospizarbeit eher eine Mittelschichtsbewegung. Wir bemerken sehr stark, dass bei Ehrenamtlichen wie bei Betroffenen das schwächere Milieu deutlich geringer vertreten ist. Das ist eine interkulturelle Herausforderung.

Die veränderte Gesetzgebung ist doch sicherlich eine große Erleichterung?

Katharina Ruth: Natürlich werden unsere Personal- und Sachkosten durch das neue Hospiz- und Palliativgesetz mittlerweile deutlich besser gefördert. Es gibt Palliativärzte und die ambulante Versorgung ist viel besser geworden. Und das ist ganz klar eine große Erleichterung. Aber darin steckt auch eine gewisse Gefahr: Die Hospizbewegung darf sich nicht zu sehr institutionalisieren und sich vom System der Krankenkassen und des Gesundheitssystems vereinnahmen lassen. Wir dürfen uns nicht zu sehr auf das Spezialistentum fokussieren, denn langfristig kann die Hospizarbeit nicht ausschließlich von Profis gemacht werden. Das ist weder realistisch, noch bezahlbar. In Wuppertal sterben jährlich rund 8000 Menschen. Und es gibt vier Hospizdienste mit insgesamt rund 200 Ehrenamtlichen. Da ist es gar nicht möglich, dass die Hospizdienste alle Menschen begleiten. Sterben erfordert nicht zwangsläufig das Wissen von Spezialisten. Es muss auf breitere Füße gestellt werden. Idealerweise wird das Sterben getragen von einem familiären oder nachbarschaftlichen Hilfesystem. Genau darauf zielen ja auch die Letzte Hilfe Kurse, die wir regelmäßig anbieten.

Was wünschen Sie der Hospizbewegung für die Zukunft?

Katharina Ruth: Noch mehr Menschen, die den Hospizgedanken mittragen. Im Sinne von Gemeindesorge brauchen wir eine breite Unterstützung. Aus England kommt die Bewegung der "Caring Community", wo eine nachbarschaftliche Sorgekultur das Ziel ist. Da sind Bürger- und Sportvereine und natürlich die Gemeinden gefragt. Es müssen kleine Unterstützungsleistungen innerhalb eines Netzwerkes aufgebaut werden, damit niemand alleine und vereinsamt sterben muss. Dabei kann unser Letzte Hilfe Kurs ein guter Anfangspunkt sein. Und im Kern war das auch immer das Ziel der Hospizarbeit: Das Thema Tod und Sterben wieder verstärkt in das alltägliche Leben zu integrieren.

Foto: Archiv

Das Gespräch führte: Nikola Dünow